Freitag, 3. August 2012

Camp NaNoWriMo Tag 3

Ich... hab weitergeschrieben. Irgendwie. Ich musste es auf dem Handy machen, weil mein Vater mir um kurz vor Mitternacht den Laptop weggenommen hat - offenbar hab ich mich zu laut über den einen Satz, den ich vergessen hab, aufgeregt. Er ist mir übrigens nicht mehr eingefallen. Es hat lange gedauert, bis ich dann wieder was geschrieben hab, was nicht sofort in den Papierkorb musste. Wie auch immer, hier ist das Produkt meines Schweißes, Blutes, Hasses und Handys.

Bens Lippen verziehen sich zu einem schiefen Lächeln. „Kann man so sagen, Kleiner.“ Er lacht hustend und will eine Hand auf James‘ Schulter legen, aber er erreicht nur sein Knie und die Hand ist kalt und sehr leicht.
James sieht, dass seine Augen matt werden wollen, und er schreit oder redet oder flüstert dagegen an und hört sich selbst nicht mehr. Sein Kopf dröhnt, weil seine Gedanken tosen und brüllen, und alles um ihn herum wird hell und weiß und bebend. 
„Du stirbst heute nicht, Ben“, hört er sich sagen und seine eigene Stimme klingt eigenartig fremd und rau von verschluckten Tränen in seinen Ohren. 
„Tut mir leid, dich zu enttäuschen“, lächelt Ben und James wünscht sich, dass er endlich damit aufhört, mit dem verdammten Lächeln. Auch, weil es mehr weh tut, als ein Schlag ins Gesicht und weil es eine Lüge ist, so offensichtlich und blass, dass sie die Wahrheit nicht verbirgt, sondern unterstreicht. 
„Danke für den Kaffee, Kleiner“, sagt er und es klingt nach Ich hab dich gern und Alles wird gut und auch nach Tut mir leid, und dann hört Bens verdammter Brustkorb plötzlich auf sich zu bewegen und James fällt wieder fast von der Welt hinunter. Fassungslos starrt er auf die stummen Augen und den starren Brustkorb. 
Ben ist tot, denkt er und versteht nicht, was das überhaupt bedeutet. 
Irgendwo hinter sich hört er dumpf und weit weg die Sirene des Rettungswagens und dann die eiligen Schritte der Helfer. Einer zieht ihn hoch auf die Füße und stellt Fragen, aber James schreit ihn an, er soll sich verpissen, und fast heult er, aber er schluckt die Tränen hinunter, weil, das kann er gut - nicht weinen. Und er hat schon lange nicht mehr geweint, vielleicht gerade deswegen. 
Einmal hat er geweint, als er bei Ben an die Tür geklopft hat, weil er einen Menschen angeschossen hat. Sie haben dann Bier getrunken und solange Karten gespielt, bis James schweigend mehr gesagt hat als sprechend und Ben hat ihn nur etwas nachdenklich angesehen und genickt. 
Jetzt weint er nicht. Jetzt schreit er die Menschen an, die zu ihm kommen, und ihn wegziehen wollen. 
Trotzdem gelingt es ihnen schließlich und sie führen ihn, beteuernd, dass alles in Ordnung sei - aber das ist eine Lüge, das weiß er, er sieht ja Ben dort auf dem Asphalt - zum Rettungswagen, und auf einmal ist er auf dem Weg nach Hause. 
Später sitzt er in der Polizeikantine vor einem großen Kaffee, schwarz mit zwei Stücken Zucker und lässt ihn kalt werden, aber das macht nichts, er mag ohnehin keinen Kaffee.
Hinter sich hört er Schritte, die so dunkel wie seine Haut sind und als er sich nicht umdreht, setzt sich Hardy neben ihn.
Er klingt besorgt, als er sagt: "Du musst heute nicht mehr hier sein." Nach einer kurzen Pause entscheidet er sich noch hinzuzufügen, wie schwer es ist, einen Partner zu verlieren. "Bist du in Ordnung?", fragt er deshalb und James lacht freudlos. 
"Natürlich", sagt er. "Ich meine, Ben ist erschossen worden, aber hey, wollen wir uns nicht lieber über Football unterhalten? Das Leben geht ja schließlich weiter, nicht wahr?" Er lacht noch einmal und rührt in seinem Kaffee herum,  der eigentlich Bens ist, aber Ben ist ja tot und er hat ihn trotzdem gekauft. Danke für den Kaffee, Kleiner. Er pfeffert den Becher zu Boden und sieht zu wie sich ein See aus schwarzen Kaffee mit zwei Stücken Zucker ausbreitet. Danke für den Kaffee.
In den ersten Tagen schreckt er nachts aus dem Schlaf, den Geruch von Kaffee in der Nase und Ben mit seinem verdammten Lächeln und den stummen Augen vor  ihm in der Dunkelheit. Sein Kopf dröhnt und in seinen Ohren hallen Schüsse. 
Er holt Luft und legt eine Hand über die Augen, um Ben nicht mehr sehen zu müssen und dabei merkt er, dass er zittert. 
Manchmal bleibt er auch in Träumen hängen, die Erinnerungen, fein gewebt und zerbrechlich wie gefrorene Spinnennetze sind und sie sind so echt, dass er glaubt, wieder
neben Ben auf dessen zerschlissenem Sofa zu sitzen und einfach nur zu existieren, neben- und
miteinander, oder in ihrer Schichtpause im kleinen Café in der
Nähe Apfelkuchen zu essen und manchmal würde Ben ein Bier bestellen, obwohl er das nicht will und schon gar nicht zusammen mit dem Kuchen, damit James den Untersetzer mitnehmen kann, denn er hat Ben einmal erzählt, dass er welche sammelt. 
Und wenn es solche Träume sind, traut er sich kaum, die Augen zu öffnen um zu sehen, ob sie nicht vielleicht doch Wirklichkeit sind. Und ein winziger Teil von ihm muss sich an dieser albernen Hoffnung festklammern, denn wenn er die Augen öffnet, ist die Dunkelheit wie ein Schlag ins Gesicht.
In den ersten Tagen geht er weiterhin beim Bäcker vorbei und kauft einen schwarzen Kaffee mit zwei Stücken Zucker. Auf den Parkplätzen vor dem Revier fällt es ihm auf und er schleudert den Becher an die Wand und brüllt dabei das Schweigen der letzten Jahre zwischen die Flecken und den weißen Putz. 
Und er hofft inständig, dass Ben tatsächlich so gut im Schweigendeuten war wie er es im Schweigen war. 


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